Körper zwischen Handwerk und Kunst
Fragen nach einer Kunst, die unter die Haut geht.
Warum Schmerz? Warum etwas Permanentes? Warum Kunst am Körper, wenn es auch auf der Leinwand geht? Tätowieren ist ein jahrtausendealtes Kulturgut, dessen Ursprünge auf der ganzen Welt zu finden sind. Der Begriff leitet sich vom tahitischen Wort „te tatau“ (‚Zeichen‘ und ‚schlagen‘) ab und wurde von britischen Seefahrern nach Europa „importiert“. Zu manchen Zeiten und an verschiedensten Orten als Stigmata verwendet, in machen Kulturkreisen wiederum als Kunst oder Ausdruck religiöser Zugehörigkeit anerkannt, gibt es kaum eine komplexere Körperkunst, die sich durch die Jahrtausende zieht.
Im Gespräch mit der Künstlerin und Tätowiererin Ju.laika aus Wien fragen wir nach dem Bedeutungsreichtum, nach Veränderungen der Szene und nach neuartigen Diskussionen rund um das Handwerk und die Kunst des Tätowierens.
LiM: Beginnen wir mit einer klassischen Frage: Müssen Tattoos immer eine Bedeutung haben?
Ju.laika: Sie können ein Statement sein, müssen aber keinen „tieferen“ Sinn tragen, ähnlich wie Kleidung oder Schmuck. Früher war das für viele Personen wegen der Schmerzen, dem Zeichen am Körper und anderem verständlicherweise krass. Ich denke, dass es deshalb zu dem Bedeutungshintergrund gekommen ist. Wobei sich die Frage stellt, was denn eine Bedeutung ist: Ein Gag oder ein Insider können eine Bedeutung für die Tätowierten haben, die andere nicht als solche sehen.
Die Frage der Bedeutung hat sich mit der Szene insofern gewandelt, als das Tätowieren früher ein Handwerk war, das heute durch eine künstlerische Szene erweitert wurde. Gab es früher TätowiererInnen, die prinzipiell alles stechen konnten, gibt es heute KünstlerInnen, die ihre eigene Kunst tätowieren. So bekommen Menschen Kunst tätowiert, die nicht exklusiv für ihre Ansprüche designt wurde. Ich zeichne beispielsweise nur mit Tusche oder Bleistift, wodurch meine Kunst wie auch die Tattoos schwarz-weiß sind. Deshalb kann ich Schattierungen ohne Farbe stechen, was andere KünstlerInnen, die mit Farbe stechen, nicht unbedingt können müssen.
LiM: Was, wenn die Menschen eine Bedeutung in deiner Kunst sehen, die konträr zu deinen Gedanken steht?
Ju.laika: Das finde ich auch schön. Es ist jedoch noch nie vorgekommen, dass der Sinn, den ich in eine Zeichnung gelegt habe, komplett missverstanden wurde. Teilweise denke ich mir, während ich zeichne, auch nichts, und die Bedeutung entsteht dann erst im Nachhinein, weil andere etwas in ihr sehen. So kommt es eher zu Erweiterungen des Bedeutungshintergrunds als zu Einschränkungen.
LiM: Wie sieht das alles mit politischen Bedeutungen aus?
Ju.laika: Im Grunde hat ja jede politische Gruppierung ihre Symboliken. Manche davon sind bekannterweise rechtlich relevant. In meiner Szene kommt von Symboliken der body positivity oder body neutrality, des Feminismus, der queeren Szene bis hin zu kommunistischen und anarchistischen Formen alles vor. Ich zeichne aber auch nicht-politische Kunstwerke, in denen meine Identität als Künstlerin und meine politische Identität ihren Teil spricht. Es geht bei der politischen Bedeutung also nicht einzig um sichtbare Kunst, sondern auch um die tätowierende Person – weil es in manchen Szenen etwas aussagt, zu wem man geht.
LiM: Denkst du als Tätowiererin darüber nach, dass du hier „Male“ für die Ewigkeit produzierst?
Ju.laika: Das hängt ganz von der Persona ab. Man ist den Personen sehr nah und sie vertrauen einem. Deshalb frage ich ab und zu nach, ob die Stelle oder die Größe tatsächlich passt. Dabei geht es aber weniger um Permanenz als um die Resonanz zwischen Kunst und Person. Über das Permanente sind sich die Menschen prinzipiell sehr bewusst. Das macht Tätowieren ja auch aus – es ist eine Hemmschwelle und auch in Zeiten des Laserns weiterhin ein krasses Commitment.
LiM: Neben der prominenten Diskussion um Farben, die tätowiert werden dürfen und zu denen die EU dieses Jahr strengere Vorschriften ausgesprochen hat: Welche maßgebenden Diskussionen gibt es in TätowiererInnenkreisen?
Ju.laika: Nun ja, eine Diskussion, die ich in letzter Zeit sehr spannend fand, war die Frage um das Tätowieren von People of Color. Durch die Proteste in den USA rund um den Tod von George Floyd ist eine Diskussion aufgekommen, in der es um verschiedenen Hauttypen ging und mit ihr zusammenhängend, welche Farben man tätowiert. So ist dunkle Haut beispielsweise oft sensibler, wird jedoch häufig unnötig tief verletzt, weil man den Kontrast nicht so gut sieht. Aber auch Feeds auf Instagram sind von Zensur betroffen, weil die dunklere Haut den Feed nicht einheitlich erscheinen lässt. Bei helleren Hauttypen werden wiederum Filter eingesetzt, um die Haut weniger rot erscheinen zu lassen. Das könnte man so gesehen als „white washing“ bezeichnen, obwohl es den Begriff ein wenig ausreizt. Man stellt weiße Haut als weißer und reiner dar, als sie nach dem Tätowieren tatsächlich ist.
Die Diskussion ist meiner Meinung nach deshalb so wichtig, weil sie Fragen zur Repräsentation verschiedener Körpertypen aufwirft.
Danke Ju.laika für das interessante Gespräch!
Ju.laika hat sich nach zahlreichen Ausbildungen in verschiedensten Feldern als Künstlerin und Tätowiererin in Wien etabliert und (be)sticht (mit) ihre(r) Kunst zurzeit im kollektiven Tattoo Studio Maschinenraum.